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Nachträgliche Auflage zur Betriebsführung des KKW Philippsburg voraussichtlich rechtswidrig

Datum: 08.12.2005

Kurzbeschreibung: 


Die gegenüber der EnBW als Betreiberin des Kernkraftwerks (KKW) Philippsburg vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg am 17.03.2005 erlassene nachträgliche Auflage zur Betriebsführung ist voraussichtlich rechtswidrig. Dies hat der 10. Senat mit einem heute den Beteiligten zugestellten Beschluss entschieden und die EnBW im Ver-fahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom Vollzug dieser Auflage bis zur endgültigen Entscheidung in der Hauptsache freigestellt.

Der EnBW war im März 2005 auf Weisung des damaligen Umweltministers Trittin vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg aufgegeben worden, den Betrieb des KKW Philippsburg (Block 1 und 2) unverzüglich einzustellen, sofern „Grenzwerte, Maße oder andere spezifizierte sicherheitstechnische Anforderungen der Genehmigung zur Störfallbeherrschung nicht eingehalten“ werden, es sei denn, „das dadurch bedingte Defizit der Störfallbeherrschung ist offensichtlich unbedeutend“. Darüber hinaus wurde der EnBW aufgegeben, die Aufsichtsbehörde unverzüglich zu informieren, wenn „der Nachweis der Störfallbeherrschung“ im KKW Philippsburg „in Frage gestellt sein könnte“ und den Leistungsbetrieb dieses KKW’s unverzüglich einzustellen, wenn der Nachweis der Störfallbeherrschung gescheitert ist, es sei denn die Störfallbeseitigung ist „zweifelsfrei nur geringfügig beeinträchtigt“. Mit dieser nachträglichen Auflage sollte die erteilte atomrechtliche Genehmigung teilweise aufgehoben und der Betrieb des KKW’s nur noch nach Maßgabe der Auflage gestattet sein. Die EnBW hatte dagegen eingewandt, dass für diese Auflage keine Rechtsgrundlage bestehe und zudem mit Ausnahme des Kernkraftwerks Biblis kein anderes Kernkraftwerk der Bundesrepublik mit einer solchen Auflage betrieben werde. Das Bundesumweltministerium hat jedoch im November 2005 allen deutschen Kraftwerksbetreibern eine solche nachträgliche Auflage angekündigt.

Mit seiner im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidung hat der VGH erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Auflage angemeldet. Die Auflage schreibe für eine Vielzahl von denkbaren Fallkonstellationen ein bestimmtes Verhalten vor (Einstellung des Leistungsbetriebs, unverzügliche Information der Aufsichtsbehörde oder Vorlage eines Projektplans). Diese Auflagen seien jedoch nicht hinreichend bestimmt. Nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums solle die in der Auflage genannte Abweichung von einem Grenzwert nur dann zur unverzüglichen Einstellung des Leistungsbetriebs führen, wenn „der jeweilige Grenzwert zum Inhalt der atomrechtlichen Genehmigung gehöre und der Störfallbeherrschung diene“. Diese Differenzierung setze aber eine Bewertung von Risiken bzw. die Beurteilung von technischen Vorgängen voraus, über die im jeweiligen konkreten Einzelfall erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen könnten. Dies könne auch nicht durch die Erwägung relativiert werden, der „Betroffene werde schon wissen, was gemeint sei“. Denn der Betroffene eines Verwaltungsaktes müsse hinreichend bestimmt vorhersehen können, welches konkrete Verhalten von ihm verlangt werde und welches Verhalten mit Strafe oder Geldbuße bedroht sei. Nach § 327 Strafgesetzbuch werde nämlich derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, der eine kerntechnische Anlage ohne die erforderliche Genehmigung betreibe; zudem handle er ordnungswidrig, wenn er einer vollziehbaren Auflage nach dem Atomgesetz zuwider handle.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit der nachträglichen Auflage bestünden auch deshalb, weil es fraglich erscheine, ob die Behörde in einer abstrakten nachträglichen Auflage für eine Vielzahl von Fallgestaltungen die Einstellung des Leistungsbetriebs vorschreiben und damit die auch dem Schutz des Betreibers dienenden rechtlichen Bindungen nach dem Atomgesetz umgehen könne. Das Atomgesetz sehe für die Einstellung des Betriebs eines Kernkraftwerks eine konkrete Einzelentscheidung vor. Dies setze aber voraus, dass die Behörde im konkreten Einzelfall den Sachverhalt aufkläre und eine Abweichung von der Genehmung feststelle und nachweise. Es erscheine überaus zweifelhaft, ob eine andere Bestimmung des Atomgesetzes zum Erlass einer abstrakten Regelung ermächtigen könne, mit der Folge, dass die auch dem Schutz des Betreibers dienenden gesetzlichen Regelungen umgangen und insbesondere durch die Ausübung eines „Vorabermessens“ ersetzt werden.

Damit überwiege das Interesse der EnBW, vom Vollzug der nachträglichen Auflage vor einer endgültigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben. Die sofortige Vollziehung der Auflage sei auch nicht aufgrund des außergewöhnlich hohen Risikopotentials von Kernkraftwerken geboten. Denn auch ohne die angefochtene Auflage stehe der für die Atomaufsicht zuständigen Behörde das im Atomgesetz vorgesehene aufsichtsrechtliche Instrumentarium zur Verfügung. Der Gesetzgeber sei bei Än-derung des Atomgesetzes davon ausgegangen, dass diese Handlungsermächtigungen einen ausreichenden effektiven Schutz vor den mit dem Betrieb eines Kernkraftwerkes verbundenen Risiken böten.

Der Beschluss ist unanfechtbar (Az: 10 S 644/05).



Hinweis: Eine Entscheidung in der Hauptsache (Az: 10 S 643/05), ist derzeit noch nicht absehbar.

Die weiteren Verfahren der EnBW gegen die Anordnung des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, mit der die Betreiberin des KKW Philippsburg unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verpflichtet worden war, verschiedene Fragen zum Sicherheitmanagement im Zusammenhang mit einem der Aufsichtsbehörde im Januar 2005 gemeldeten „theoretischen Kühlmittelverlust-Störfall“ zu beantworten (Az: 10 S 645/05 und 10 S 646/05) sind nicht mehr beim VGH anhängig. Diese Verfahren wurden ohne Sachentscheidung eingestellt, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.





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