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Stuttgart-Kaltental: Aufhebung des Baurechts für Grundstück durch Stadtbauplan-Änderung von 1935 unwirksam

Datum: 06.02.2015

Kurzbeschreibung: Die Landeshauptstadt Stuttgart (Beklagte) ist verpflichtet, den Eigentümern eines Grundstücks in Stuttgart-Kaltental (Kläger) einen Bauvorbescheid darüber zu erteilen, dass eine bestimmte Teilfläche ihres Grundstücks gemäß einem Stadtbauplan von 1929 bauplanungsrechtlich überbaubar ist. Die Aufhebung des Baurechts für diese Fläche durch eine vom Oberbürgermeister der Stadt im November 1935 festgestellte Stadtbauplan-Änderung steht dem nicht entgegen. Das hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit einem heute verkündeten Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. Januar 2015 entschieden. Damit hatte die Berufung der Kläger gegen ein anderslautendes Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart (VG) Erfolg.

Die Kläger sind Eigentümer eines bebauten Grundstücks in Stuttgart-Kaltental. Der vom Gemeinderat festgestellte Stadtbauplan 1929/17 setzt für eine Teilfläche des Grundstücks ein Baurecht und für die restliche Fläche ein Bauverbot fest. Mit der vom Oberbürgermeister im November 1935 festgestellten Stadtbauplan-Änderung 1935/63 wurde dieses Baurecht durch Erweiterung der Bauverbotsfläche aufgehoben; die konkreten Gründe für diese Änderung sind unbekannt. Die Kläger beantragten im Jahr 2009 einen Bauvorbescheid zur bauplanungsrechtlichen Bebaubarkeit ihres Grundstücks auf der nach dem Stadtbauplan 1929/17 überbaubaren Teilfläche. Die Beklagte lehnte dies unter Berufung auf die Stadtbauplan-Änderung 1935/63 ab. Das VG wies die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Verpflichtungsklage der Kläger ab. Auf die Berufung der Kläger hat der VGH der Klage stattgegeben.

Bei der Verkündung des Urteils führte der Senatsvorsitzende zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Überbaubarkeit des Grundstücks der Kläger richte sich nur nach dem Stadtbauplan 1929/17. Danach sei die streitige Teilfläche überbaubar. Die Aufhebung dieses Baurechts durch die Stadtbauplan-Änderung 1935/63 stehe dem nicht entgegen. Ob das schon daraus folge, dass nach der früheren Württembergischen Bauordnung der Gemeinderat für eine solche Änderung zuständig war, wie die Kläger geltend machten, oder ob mit dem Inkrafttreten der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 auch insoweit allein der Oberbürgermeister zuständig geworden sei, könne offen bleiben. Die Stadtbauplan-Änderung 1935/63 stehe der Überbaubarkeit der streitigen Teilfläche jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil sie bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahr 1961 aus materiellen Gründen nicht rechtwirksam als Bebauungsplan im Sinne des heutigen Bauplanungsrechts "übergeleitet" worden sei. Dies hätte u.a. vorausgesetzt, dass die Stadtbauplan-Änderung 1935/63 unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie (Artikel 14 GG) im Abwägungsergebnis verhältnismäßig sei. Davon könne hier nicht ausgegangen werden. Ein vollständiges Bauverbot für ein vormals teilweise überbaubares Grundstück erfordere gewichtige städtebauliche Allgemeinwohlgründe. Ob solche Gründe hier bestanden hätten, sei im konkreten Fall nicht mehr aufklärbar. Auch die Beklagte habe in der mündlichen Verhandlung keine überzeugenden Erklärungsansätze für die Erweiterung des Bauverbots aufgezeigt. Angesichts der erheblichen Eigentumsbetroffenheit der Kläger gehe die Unaufklärbarkeit zu Lasten der Beklagten. Der Senat habe demzufolge davon auszugehen, dass es weder 1935 noch bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahr 1961 einen die Erweiterung des Bauverbots rechtfertigenden gewichtigen Allgemeinwohlgrund gegeben habe. Dieser Rechtsmangel habe 1961 schon die Überleitung als Bebauungsplan ausgeschlossen. Er habe daher entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aufgrund einer 1986 in das Baugesetzbuch eingefügten Vorschrift über die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln unbeachtlich werden können. Auf der Grundlage des deshalb anzuwendenden Stadtbauplans 1929/17 sei die Beklagte verpflichtet, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.

Das vollständige Urteil mit Gründen wird den Beteiligten schriftlich zugestellt.

Der VGH hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen (8 S 450/13).

 

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