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Geschäftstätigkeit 2014: 50% mehr Asyl-Eingänge bei den Verwaltungsgerichten; Eingänge beim VGH leicht rückläufig; VGH erledigt 11 Klagen zum Projekt Stuttgart 21; weitere Verfahren im Fokus der Öffentlichkeit, insbesondere "Mappus-Mails"; Auch 2015 zahlreiche Grundsatzentscheidungen zu erwarten

Datum: 03.02.2015

Kurzbeschreibung: Im Geschäftsjahr 2014 sind bei den Verwaltungsgerichten Freiburg, Karlsruhe, Sigmaringen und Stuttgart die Eingänge in Asylverfahren um 50% angestiegen; Serbien, Gambia und Mazedonien sind die zahlenmäßig stärksten Herkunftsländer. Die Eingänge in allgemeinen Verfahren waren bei den Verwaltungsgerichten leicht rückläufig. Beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) gingen die Eingänge sowohl in allgemeinen Verfahren als auch in Asylverfahren leicht zurück. Damit konnte der Gesamtbestand anhängiger Verfahren am Jahresende erneut reduziert werden. Die durchschnittliche Dauer der beim VGH erledigten Verfahren entwickelte sich im Vergleich zum Vorjahr unterschiedlich. Während sie bei erstinstanzlichen Klagen und Normenkontrollen incl. Großvorhaben auf 12,7 Monate sowie bei Berufungen in Asylverfahren auf 8,2 Monate zurückging und bei Beschwerden unverändert bei 2,1 Monaten lag, erhöhte sie sich bei Anträgen auf Zulassung der Berufung geringfügig auf 5,5 Monate (allgemeine Verfahren) und 2,5 Monate (Asylverfahren) sowie bei den durch Urteil erledigten Berufungen auf 15,4 Monate.

Zahlreiche Entscheidungen des VGH standen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der 5. Senat erledigte 11 zum Teil aufwändige Klagen zum Projekt Stuttgart 21. Der Ende Juli 2014 verhandelte Rechtsstreit um die "Mappus-Mails" zog das besondere Interesse der Medien auf sich. Auch im Geschäftsjahr 2015 sind Grundsatzentscheidungen des VGH zu erwarten, etwa zum Stuttgarter Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21“, zur Freiburger "Bettensteuer", zum Rundfunkbeitrag, zu Sozialmieten in Stuttgart, zu Baubeschränkungen und -verboten auf der Insel Reichenau, zur Geltung des nächtlichen Alkoholverkaufsverbots für Tankstellen mit Gaststättenerlaubnis, zur Ethylen-Pipeline Süd und zum Rechtsstreit um die Abfindung für Prof. Dr. Friedl.

1. Geschäftsentwicklung beim VGH

Allgemeine Verwaltungsrechtssachen

Im Jahr 2014 gingen beim VGH 2.153 allgemeine Verfahren und damit etwas weniger als im Vorjahr (2.289) ein. Der Verfahrensrückgang verteilt sich im Wesentlichen auf alle Rechtsgebiete, lediglich im Wirtschaftsrecht gab es einen Zuwachs. Die Zahl der Erledigungen nahm mit 2.227 (Vorjahr 2.308) ebenfalls leicht ab. Der Gesamtbestand am Jahresende konnte mit 723 allgemeinen Verfahren erneut reduziert werden (Vorjahr 797) und bewegt sich im 10-Jahres-Vergleich auf dem niedrigsten Stand. Die durchschnittliche Dauer aller erledigten allgemeinen Verfahren hat sich unterschiedlich entwickelt. Bei den erstinstanzlichen Hauptsachen (Klagen, Normenkontrollanträge) incl. technischer Großvorhaben verringerte sie sich deutlich um ca. 25% auf 12,7 Monate (Vorjahr 16,7); etwas mehr als die Hälfte dieser Verfahren war sogar innerhalb eines Jahres erledigt. Bei den Beschwerden blieb die durchschnittliche Dauer mit 2,1 Monaten unverändert niedrig. Die durchschnittliche Dauer der erledigten Anträge auf Zulassung der Berufung stieg um ca. 17% auf 5,5 Monate (Vorjahr 4,7 Monate). Einen Anstieg gab es ferner bei den durch Urteil erledigten Berufungen um ca. 15% auf 15,4 Monate (Vorjahr 13,4). Von diesen Verfahren war aber fast die Hälfte innerhalb eines Jahres erledigt.

In neun Verfahren beim VGH wurden Verzögerungsrügen nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingelegt. Ferner wurden drei Entschädigungsklagen erhoben.

Die Erfolgsquoten (Stattgabe oder Teilstattgabe) in allgemeinen Verfahren stellen sich wie folgt dar: Berufungen hatten zu 11,6% (Vorjahr 19,3%) Erfolg, erstinstanzliche Hauptsachen (Klagen, Normenkontrollanträge) incl. technischer Großvorhaben zu 7,1% (Vorjahr 28,6%), Beschwerden zu 9,1% (Vorjahr 9,6%) und Anträge auf Zulassung der Berufung zu 13,9% (Vorjahr 13,8%). Von den neu eingegangenen Berufungen waren 13% bereits von den Verwaltungsgerichten zugelassen worden (Vorjahr 28%).

Asylverfahren

In Asylverfahren gab es beim VGH 349 Eingänge und damit erneut weniger als im Vorjahr (368). Bei nahezu gleicher Erledigungszahl von 347 (Vorjahr 344) blieb auch die Zahl unerledigter Verfahren am Jahresende mit 93 (Vorjahr 91) fast unverändert.

Die durchschnittliche Dauer der durch Urteil erledigten Berufungsverfahren konnte in Asylsachen auf 8,2 Monate verkürzt werden (Vorjahr 8,6 Monate), wohingegen sie sich bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung auf 2,5 Monate erhöhte (Vorjahr 2,0 Monate). 85,7% der Berufungen wurden binnen eines Jahres erledigt.

Die Erfolgsquoten (Stattgabe oder Teilstattgabe) im Asylverfahren betrugen bei den Anträgen auf Zulassung der Berufung 8,7% (Vorjahr 8,2%) und bei den Berufungen 35% (Vorjahr 24%)

Durchschnittliche Richterzahl

Die Durchschnittszahl der im Geschäftsjahr 2014 beim VGH in 15 Senaten beschäftigten Richterinnen und Richter lag mit 34,56 in etwa auf dem Niveau des Vorjahres (34,78).

2. Geschäftsentwicklung bei den Verwaltungsgerichten

Allgemeine Verwaltungsrechtssachen

Bei den vier Verwaltungsgerichten im Land gab es mit insgesamt 11.093 Eingängen in allgemeinen Verfahren einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr (11.858). Der Verfahrensrückgang verteilt sich gleichmäßig auf alle allgemeinen Rechtsgebiete. Die Zahl der Erledigungen blieb mit 10.741 unter dem Ergebnis des Vorjahres (11.212), der Gesamtbestand aller Verfahren am Jahresende erhöhte sich auf 7.706 (Vorjahr 7.351). Diese Erhöhung ist vor allem auf den starken Anstieg der Eingänge bei den Asylverfahren (siehe unten) zurückzuführen, weil richterliche Arbeitskraft dadurch zugleich deutlich mehr als bisher in Asylverfahren gebunden war.

Die durchschnittliche Dauer der erledigten allgemeinen Verfahren ist bei den Hauptsachen auf 9,1 Monate (Vorjahr 8,8) und in Eilverfahren auf 3,0 Monate (Vorjahr 2,3) leicht angestiegen. 71% der Hauptsachen wurden aber binnen 12 Monaten erledigt.

In 47 aller Verfahren der Verwaltungsgerichte wurden Verzögerungsrügen nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhoben.

Asylverfahren

In Asylverfahren gab es bei den Verwaltungsgerichten mit 7.728 Eingängen im Vergleich zum Vorjahr (5.121) einen sehr starken Anstieg von 50%. Damit setzt sich ein seit dem Jahr 2009 anhaltender Aufwärtstrend im Jahr 2014 noch deutlicher fort. Parallel hierzu erhöhten sich auch die Zahl der Erledigungen in Asylverfahren deutlich um ca. 43% auf 6.670 (Vorjahr 4.664) und der Gesamtbestand an Asylverfahren am Jahresende um ca. 30% auf 4.632 (Vorjahr 3.573). Trotz des signifikanten Anstiegs an Asylverfahren hat sich deren durchschnittliche Dauer aber nur geringfügig erhöht: Klagen wurden in 9,3 Monaten (Vorjahr 9,0 Monate), Eilanträge in 1,9 Monaten (Vorjahr 1,4 Monate) erledigt. 73% der Hauptsachen konnten binnen eines Jahres erledigt werden.

Durchschnittliche Richterzahl

Die Durchschnittszahl der im Geschäftsjahr 2014 bei den vier Verwaltungsgerichten des Landes beschäftigten Richterinnen und Richter betrug 109,16 (Vorjahr 106,53) und ist damit im Zehn-Jahres-Vergleich erstmals wieder leicht angestiegen.

3. Rückblick auf wichtige Entscheidungen des VGH im Jahr 2014

Auch im vergangenen Jahr standen viele Verfahren im Blickpunkt der Öffentlichkeit. 53 Pressemitteilungen, 2 Pressekonferenzen und zahlreiche weitere Informationen für Medien-Vertreter gaben Auskunft über lokal, regional, landes- oder auch bundesweit bedeutsame Entscheidungen des VGH und die Geschäftstätigkeit des Gerichtshofs. Zum wiederholten Mal war der für das Eisenbahnrecht zuständige 5. Senat mit dem Projekt Stuttgart 21 beschäftigt. Er erledigte innerhalb weniger Monate 11 zum Teil aufwändige erstinstanzliche Klagen, die ganz überwiegend Planänderungen betrafen. Die Stuttgarter Montagsdemonstrationen gegen das Projekt Stuttgart 21 waren im November und Dezember Gegenstand von Eilbeschlüssen des 1. Senats. Dieser bestätigte ein Demonstrationsverbot vor dem Nordausgang in der Kopfbahnsteighalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs, ließ aber die 250. Montagsdemonstration mit einer Auftaktkundgebung auf dem Arnulf-Klett-Platz und in der Schillerstraße zu. Besonders großes Interesse der Medien zog der am 30. Juli verhandelte Rechtsstreit um die Löschung der "Mappus-Mails" auf sich. Der 1. Senat bestätigte, dass der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus vom Land Baden-Württemberg die Löschung von drei Dateien mit Arbeitskopien seines früheren dienstlichen Outlook-Postfachs sowie sämtlicher Kopien dieser Dateien verlangen kann, nachdem diese dem Landesarchiv zur Übernahme angeboten worden sind. Nur wenige Monate später war mit dieser Angelegenheit der 10. Senat wegen des Rechts auf Information befasst. Er lehnte den Eilantrag eines Bürgers ab, dem Staatsministerium vorläufig die Löschung der E-Mails zu untersagen, bis über seine Klage auf Zugang zu Umweltinformationen in diesen Dateien rechtskräftig entschieden ist. Bundesweite Aufmerksamkeit erlangten auch die Verhandlung des 2. Senats über die Veranlagung eines Stuttgarter Massage-Studios zur Vergnügungssteuer für Tantra-Ganzkörpermassagen, das Urteil des 9. Senats, wonach Automaten zur Abgabe von Rohmilch an Verbraucher nur am Ort der Milchgewinnung aufgestellt werden dürfen, sowie die Urteile des 10. Senats über den Abwehranspruch von Nachbarn gegen Lärm automatischer Vogelabwehranlagen in einem Weinberg in Neckarwestheim und über Klagen von Anwohnern gegen die 2. Stilllegungs- und Abbaugenehmigung für das Kernkraftwerk Obrigheim.

Aber auch viele Entscheidungen in Fällen mit landesweiter, regionaler oder auch nur lokaler Bedeutung stießen auf Resonanz in Öffentlichkeit und Medien. Dies betraf etwa die Kirchenbaulast bürgerlicher Gemeinden für Kirchtürme, Kirchenuhren und Kirchenglocken nach dem Württembergischen Kirchengemeindegesetz von 1887, ein interkommunales Gewerbegebiet in Bad Wurzach, Asylbewerberunterkünfte in Gewerbegebieten, das Verbot der Aufstellung von Grabsteinen aus ausbeuterischer Kinderarbeit in einer Friedhofsatzung, Starts und Landungen von Schleppflugzeugen im Segelflugbetrieb am City Airport Mannheim, die Sperrgebietsverordnung in Friedrichshafen, die Bauleitplanung zur Steuerung von Tierhaltungsanlagen in Bad Dürrheim, den Anspruch eines Nachbarn auf Abriss einer baurechtswidrigen Grenzgarage, das Abwehrrecht eines Amateurfunkers gegen den Internetzugang über das Stromnetz, die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen, die Überlassung einer Stadthalle für den NPD-Bundesparteitag, gemeindliche Versorgungslasten für frühere Berufssoldaten, die Überstellung von Asylbewerbern im Dublin-Verfahren nach Bulgarien, das Stuttgarter Taubenfütterungsverbot und die Heidelberger Straßenbahnlinie Im Neuenheimer Feld. Ferner fanden zahlreiche Normenkontrollverfahren über Bebauungspläne baden-württembergischer Gemeinden großes Interesse.

4.  Verfahren von öffentlichem Interesse, in denen voraussichtlich im Jahr 2015 eine Entscheidung des VGH ansteht.

1. Senat

Stuttgart: Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21“

Die Kläger sind Vertrauensleute und Mitunterzeichner des Bürgerbegehrens "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21“. Mit diesem soll - durch Kündigung der Projektverträge - der Ausstieg der Landeshauptstadt Stuttgart (Beklagte) aus der Finanzierung des Projekts Stuttgart 21 erreicht werden. Die Kläger halten die Mischfinanzierung dieses Vorhabens durch Beiträge des Bundes, des Landes Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart für verfassungswidrig und sehen darin einen Kündigungsgrund für die Beklagte zum "Ausstieg" aus dem Projekt Stuttgart 21. Sie berufen sich insoweit auf ein Rechtsgutachten des an der Humboldt-Universität Berlin lehrenden Prof. Dr. Meyer vom 3. November 2010. Die Beklagte hat das Bürgerbegehren nicht zugelassen.

Das VG Stuttgart hat die Klage im Juli 2013 abgewiesen. Die pauschale Mitfinanzierung des Projekts Stuttgart 21 durch die Beklagte rechtfertige keinen Bürgerentscheid mit dem Ziel, eine Kündigung der geschlossenen Projekt- und Finanzierungsverträge durch die Stadt zu erzwingen. Denn ein solcher Bürgerentscheid wäre unzulässig, weil er auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet wäre. Die Beklagte verstieße mit einem auf die Verfassungswidrigkeit der Mischfinanzierung gestützten "Ausstieg“ aus dem Projekt Stuttgart 21 gegen ihre Vertragspflichten. Der behauptete Kündigungsgrund einer verfassungswidrigen Mischfinanzierung des Projekts Stuttgart 21 bestehe nicht. Das Konnexitätsprinzip in Artikel 104 a Absatz 1 GG verbiete nicht, dass Bund, Länder und Gemeinden in Wahrnehmung jeweils eigener Aufgaben bei komplexen Infrastrukturprojekten zusammenarbeiteten und dabei eine Kostenaufteilung nach dem Anteil ihrer Aufgabenwahrnehmung vereinbarten.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung wird in Kürze bestimmt (1 S 1949/13).

Löschung von Daten und Akten abgeschlossener Bußgeldverfahren

Der Kläger begehrt die Löschung von Daten, die in Bußgeldverfahren wegen Verstößen im Straßenverkehr angefallen sind. Sein Begehren erstreckt sich auf elektronische Dateien und Bußgeldakten. Das VG Karlsruhe hat die Klage im Juli 2013 abgewiesen. Die Speicherung der in der Verfahrensdatenbank der Beklagten enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers sei zur Durchführung der Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen notwendig gewesen. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) erlaube deren weitere Speicherung zu dem Zweck, Bußgeldakten auch nach Abschluss der Verfahren aufzufinden (so genannte Vorgangsverwaltung). Ihre weitere Speicherung sei außerdem zur Führung weiterer Bußgeldverfahren zulässig. Die Bußgeldakten dürfe die Beklagte zur Erfüllung ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber der Gemeindeprüfungsanstalt jeweils fünf Jahre aufbewahren.

Der 1. Senat hat die Berufung zugelassen. Es sei fraglich, ob alle von der Beklagten in der Verfahrensdatenbank gespeicherten Daten für die Zwecke der Vorgangsverwaltung und der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten erforderlich seien. Auch sei offen, ob ein Anspruch auf Löschung der Bußgeldakte bestehe. Die Daten seien zur Erfüllung der Aufgabe erhoben worden, Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen. Es sei fraglich, ob sie für den anderweitigen Zweck, die Rechenschaftspflicht gegenüber der Gemeindeprüfungsanstalt zu erfüllen, weiter gespeichert werden dürften. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung wird in Kürze bestimmt (1 S 2569/13).

Prostitutionsverbot in Friedrichshafen

Die Antragstellerinnen begehren mit ihren Normenkontrollanträgen, die Verordnung des Regierungspräsidiums Tübingen über das Verbot der Prostitution auf dem Gebiet der Stadt Friedrichshafen vom 11. April 2013 (Sperrgebietsverordnung) für unwirksam zu erklären. Die auf Betreiben der Stadt Friedrichshafen erlassene Sperrgebietsverordnung verbietet jede Art der Prostitution im Stadtgebiet. Vom Verbot ausgenommen sind einige Toleranzzonen in Gewerbegebieten sowie baurechtlich genehmigte Nutzungen. Die Antragstellerinnen gehen in Wohnungen eines zehnstöckigen Gebäudes im Stadtzentrum der Prostitution nach. Baurechtliche Genehmigungen für die Wohnungsprostitution in diesem Gebäude wurden nicht erteilt und auch nicht beantragt. Die Ausübung der Wohnungsprostitution wurde jedoch faktisch langjährig geduldet. Die Stadt forderte die Antragstellerinnen im Januar 2014 unter Androhung von Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafverfahren auf, die Ausübung der Prostitution unverzüglich einzustellen.

Die Antragstellerinnen machen im Wesentlichen geltend, die Sperrgebietsverordnung führe faktisch zu einem Prostitutionsverbot im gesamten Stadtgebiet, bewirke aber zumindest eine unzulässige Kasernierung. Denn alle in der Verordnung bestimmten Toleranzzonen würden - mit Ausnahme zweier Straßen, an denen vielleicht Flächen für eine Anmietung zur Verfügung stehen könnten - durch alteingesessene Industrie- und Gewerbebetriebe genutzt.

Der 1. Senat hat in einem Eilverfahren mit Beschluss vom 6. Juni 2014 (Az.: 1 S 440/14) die Sperrgebietsverordnung für das Grundstück, auf dem die Antragstellerinnen ihrer Tätigkeit nachgehen, vorläufig außer Vollzug gesetzt (Pressemitteilung vom 23. Juni 2014). Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist in der zweiten Jahreshälfte 2015 beabsichtigt (1 S 410/14).

2. Senat

Übernachtungssteuer ("Bettensteuer") in Freiburg i. Breisgau

In einem Normenkontrollverfahren geht es um die Gültigkeit der am 15. Oktober 2013 vom Gemeinderat der Stadt Freiburg i. Breisgau beschlossenen Satzung zur Erhebung einer Übernachtungssteuer (Übernachtungssteuersatzung). Gegenstand der so genannten "Bettensteuer" ist der Aufwand eines Beherbergungsgastes für die Möglichkeit einer entgeltlichen privaten Übernachtung in einem Beherbergungsbetrieb (Hotel, Gasthof, Pension, Privatzimmer, Jugendherberge, Ferienwohnung, Motel, Camping- und Reisemobilplatz und ähnliche Einrichtungen); Steuerschuldner ist der Inhaber des Beherbergungsbetriebes. Die Antragstellerin, eine GmbH aus Freiburg i. Breisgau, die dort ein Hotel betreibt, hält die Satzung für unwirksam, weil sie mit höherrangigem Recht unvereinbar sei (2 S 2555/13).

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist in der ersten Jahreshälfte 2015 beabsichtigt.

Vergnügungssteuer für Wettbüros

In einem Normenkontrollverfahren beantragt der Betreiber eines Wettbüros für allgemeine Sportwetten, Vorschriften der Vergnügungssteuersatzung der Stadt Lahr in der Fassung einer Änderungssatzung vom 15. Oktober 2013 für nichtig zu erklären. Gegenstand der Vergnügungssteuer sind das Vermitteln und/oder Veranstalten von Pferdewetten oder Sportwetten in Einrichtungen (Wettbüros), die neben der Annahme von Wettscheinen auch das Mitverfolgen der Wettereignisse ermöglichen. Steuerschuldner ist der Betreiber des Wettbüros. Der Steuersatz beträgt 100 Euro je angefangenen 10 qm und Monat. Der Antragsteller erhebt zahlreiche Einwände, wie z.B. fehlende Abwälzbarkeit auf die Wettenden, Gleichartigkeit mit der Umsatzsteuer oder eine Unzulässigkeit des Flächenmaßstabs (2 S 2067/14).

In drei Berufungsverfahren geht es um die Frage, ob Betreiber von Wettbüros (Kläger) zu Recht von der Stadt Kehl für das Jahr 2013 bzw. die Monate Mai bis Dezember 2012 zu Vergnügungssteuern herangezogen wurden. Nach der städtischen Vergnügungssteuersatzung sind Steuergegenstand und Steuerschuldner bei Wettbüros wie in Lahr (s. o.) geregelt. Der Steuersatz beträgt 100 Euro je angefangenen 20 qm und Monat. Die Kläger machen vergleichbare Einwände wie der Antragsteller im Normenkontrollverfahren (s.o.) geltend. Das VG Freiburg hat die Klagen im März 2014 abgewiesen. Dagegen richten sich die Berufungen der Kläger, die das VG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Fragen zugelassen hat, ob für das Verfolgen von Wettereignissen in einem Wettbüro Vergnügungssteuer erhoben werden darf, ob hierfür der gewählte Flächenmaßstab als Bemessungsgrundlage angewandt werden darf und ob in diesem Zusammenhang auch die Flächen von Nebenräumen berücksichtigungsfähig sind (2 S 1025/14, 2 S 1026/14 und 2 S 1027/14).

Termine zur mündlichen Verhandlung sind in der zweiten Jahreshälfte 2015 beabsichtigt.

Grundsatzfragen zum Rundfunkbeitrag

In drei Berufungsverfahren ist grundsätzlich über die Vereinbarkeit des Rundfunkbeitrags mit höherrangigem Recht zu entscheiden. Die Kläger machen insoweit zahlreiche Einwände geltend und rügen u. a., der Rundfunkbeitrag sei eine Steuer, für die die Bundesländer keine Kompetenz besäßen, die Anbindung des Rundfunkbeitrags an den Wohnungsinhaber verletze das Gleichheitsgebot und der öffentlich-rechtliche Rundfunk halte sich nicht an seinen Auftrag der Grundversorgung (2 S 1943/14, 2 S 2104/14 und 2 S 2168/14).

3. Senat

Landeshauptstadt Stuttgart: Wie hoch darf die Sozialmiete sein?

In einem Normenkontrollverfahren geht es um die Gültigkeit einer Satzung der Landeshauptstadt Stuttgart vom 18. Dezember 2008, geändert durch Satzung vom 2 Juli 2009, über die Miethöhe öffentlich geförderter Wohnungen und Personalfürsorgewohnungen. Antragstellerin ist eine Stuttgarter Wohnungsbaugenossenschaft, der derzeit ca. 300 Gebäude mit über 2.500 Wohneinheiten in Stuttgart gehören und die auch öffentlich geförderte Wohnungen vermietet.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Satzung ist das Landesgesetz zur Förderung von Wohnraum und Stabilisierung von Quartierstrukturen vom 11. Dezember 2007 (GBI S. 581). Dieses Gesetz ordnet die rechtlichen Grundlagen für die sozial orientierte Wohnraumförderung neu. Für Mietverträge über sozial geförderten Wohnraum soll künftig grundsätzlich das allgemeine Wohnraummietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten. Die Sozialmiete soll nicht über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen (Abschaffung der bisherigen Kostenmiete) und muss einen Mindestabstand zu dieser wahren. Gemeinden mit öffentlich gefördertem sozialem Wohnraum sind verpflichtet, durch eine Satzung die höchst zulässige Miete für sozial geförderten Wohnraum festzulegen, jedoch nicht über 90 v.H. der ortsüblichen Vergleichsmiete.

Die angegriffene Satzung setzt für die öffentlich geförderten Wohnungen der Antragstellerin konkrete Mietbeträge oder eine Mietpreisbindung auf maximal 78 v.H. der ortsüblichen Vergleichsmiete fest. Die Antragstellerin sieht darin eine unverhältnismäßige Einschränkung ihres Eigentumsgrundrechts (Artikel 14 GG) und eine unzulässige Rückkehr zur Kostenmiete. Die auch bei öffentlich geförderten Wohnungen steigenden Instandhaltungs- und Verwaltungskosten sowie Zinssprünge in Darlehensverträgen zur Finanzierung des öffentlich geförderten Wohnraums könnten durch Mieterhöhungen nicht ausreichend ausgeglichen und Aufwendungen zur Modernisierung nicht weitergegeben werden. Schließlich seien auch die Regelungen zu Schönheitsreparaturen zu beanstanden.

Der 3. Senat des VGH hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 14. Dezember 2011 (3 S 2611/09) als unzulässig abgewiesen, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei; vielmehr seien die Zivilgerichte zuständig. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser nicht gefolgt. Es hat mit Urteil vom 18. April 2013 (5 CN 1/12) das Urteil des VGH aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Begründetheit des Normenkontrollantrags zurückverwiesen.

Stadt Herrenberg: Steinbruch "Plapphalde"

In zwei Normenkontrollverfahren geht es um die Gültigkeit des Bebauungsplans "Steinbruch Plapphalde" der Stadt Herrenberg vom 10. Dezember 2012. Das Plangebiet umfasst Flächen eines seit Jahrzehnten betriebenen Steinbruchs im Ortsteil Haslach. Der Steinbruch liegt ca. 280 m vom Rand der Haslacher Wohnbebauung und ca. 520 m von der Wohnbebauung am Rande der Herrenberger Kernstadt entfernt. Der Bebauungsplan setzt Sondergebiete für Steinbruchbetriebe und deren Nebenanlagen fest und begrenzt mögliche Lärm- und Kohlendioxid- Emissionen im Plangebiet. Ferner setzt er ein Sondergebiet für Landwirtschaft fest. Ziel der Planung ist es, "gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu sichern bzw. zu schaffen".

Antragstellerinnen sind zwei im Plangebiet ansässige Gewerbebetriebe (GmbH & Co. KG und GmbH). Die GmbH & Co. KG betreibt den Steinbruch mit Schotterwerk und Asphaltbrecher und verpachtet Flächen im Steinbruch an andere Gewerbetriebe. Zu diesen gehört die GmbH. Sie betreibt ein in den 1960iger Jahren genehmigtes Asphaltmischwerk. Im Jahr 2008 beantragte sie die Erteilung einer immissions-schutzrechtlichen Änderungsgenehmigung mit dem Ziel, künftig auch Braunkohlestaub verbrennen zu dürfen. Daraufhin formierte sich Widerstand in der lokalen Bevölkerung und im Dezember 2009 beschloss die Stadt Herrenberg, für das Steinbruch-Gelände erstmals einen Bebauungsplan aufzustellen.

Die Antragstellerinnen sehen sich in ihrer betrieblichen Entwicklung zu stark eingeschränkt. Sie machen zahlreiche Verfahrensfehler geltend, u.a. eine unzureichende Angabe umweltbezogener Informationen bei der Bürgerbeteiligung und die Mitwirkung befangener Gemeinderatsmitglieder. Ferner rügen sie, der Bebauungsplan sei mit Zielen des Regionalplans unvereinbar, verschiedene Festsetzungen sei nicht hinreichend bestimmt und die Kontingentierung der Lärmemissionen sei rechtswidrig. Schließlich halten sie die Abwägung der öffentlichen und privaten Belange für fehlerhaft. Ihre betriebswirtschaftlichen Belange, insbesondere ihre Entwicklungsinteressen, seien nur unzureichend gewürdigt worden (3 S 2492/13 und 3 S 2499/13).

5. Senat

Villingen: Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßprojekts (Möbelhaus "XXXLutz")

In einem Normenkontrollverfahren geht es um die Wirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans "Oberer Steppach/Vorderer Eckweg im Bereich der Straße Vorderer Eckweg“ der Stadt Villingen-Schwenningen vom 31. August 2012. Der Bebauungsplan dient der Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßprojekts mit ca. 27.000 m2 Verkaufsfläche (Möbelhaus "XXXLutz“). Mehrere Wohnungseigentümer außerhalb des Plangebiets machen geltend, das Vorhaben beeinträchtigte sie in ihrem Wohneigentum. Sie verweisen insbesondere auf Lärm und Abgase, die mit Liefer- und Kundenverkehr verbunden seien. Ferner beanstanden sie das nach dem Bebauungsplan zulässige Maß der baulichen Nutzung für das Möbelhaus, das weitere nachteilige Wirkungen befürchten ließe.

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist im April oder Mai 2015 beabsichtigt (5 S 736/13).

Baubeschränkungen und Bauverbote auf der Insel Reichenau

In mehreren Normenkontrollverfahren geht es um die Gültigkeit der Bebauungspläne "Mittelzell-Nord“ und "Gaisser“ der Gemeinde Reichenau vom 16. Mai 2013 bzw. 26. November 2012. Die Bebauungspläne schränken die Bebaubarkeit der Grundstücke erheblich ein, teilweise schließen sie sie sogar ganz aus. Planungsziel ist es, einer Zersiedelung der Insel entgegenzuwirken. Dazu sind große Teile der Plangebiete als Flächen für die Landwirtschaft, private Grünflächen oder Uferzonen festgesetzt. Die Antragsteller sind Eigentümer bebauter und unbebauter Grundstücke in den Plangebieten. Sie machen geltend, die Bebauungspläne schränkten Ihre Eigentumsrechte unverhältnismäßig ein und verletzten hinsichtlich der Bebaubarkeit ihrer Grundstücke das Gleichbehandlungsgebot (Artikel 3 Absatz 1 GG).

In diesen Sachen sind folgende Termine zur mündlichen Verhandlung bestimmt:

1. Bebauungsplan "Mittelzell-Nord"

 

Montag, 16. März 2015, 14.00 Uhr

im Rathaus der Gemeindeverwaltung Reichenau,

78479 Reichenau, Münsterplatz 2, Großer Sitzungssaal

mit eventueller Fortsetzung am Dienstag, 17. März 2015 ab 9.30 Uhr

(Verfahren 5 S 2296/13, 5 S 2435/13, 5 S 2448/13 und 5 S 2456/13)

 

2. Bebauungsplan "Gaisser"

 

Dienstag, 17. März 2015, 15.00 Uhr

im Rathaus der Gemeindeverwaltung Reichenau,

78479 Reichenau, Münsterplatz 2, Großer Sitzungssaal

mit eventueller Fortsetzung am Mittwoch, 18. März 2015 ab 9.30 Uhr

(Verfahren 5 S 1047/14, 5 S 1048/14 und 5 S 1057/14)

 

B 31 West, 2. Teilabschnitt (Gottenheim-Breisach): Verletzt Planungsstillstand die kommunale Planungshoheit?

In einem erstinstanzlichen Klageverfahren begehren neun südbadische Gemeinden bzw. Städte (Gottenheim, Bötzingen, Breisach, Eichstetten, Ihringen, March, Merdingen, Umkirch und Vogtsburg), dass das Land Baden-Württemberg (Regierungspräsidium Freiburg; Beklagter) verpflichtet wird, das vom Bund beantragte, inzwischen aber vornehmlich aus Kostengründen zum Ruhen gebrachte Planfeststellungsverfahren für die B 31 - West 2. Teilabschnitt (Gottenheim-Breisach) fortzusetzen und mit einer Sachentscheidung abzuschließen. Die entlang der bereits fertiggestellten bzw. geplanten Trasse der B 31 gelegenen Gemeinden und Städte machen geltend, der Stillstand des Planfeststellungsverfahrens verletze ihre Planungshoheit. Denn sie unterlägen aufgrund des Planfeststellungsverfahrens den bauplanungsrechtlichen (§ 38 Satz 1 BauGB) und fernstraßenrechtlichen (§ 16 Absatz 3 FStrG) Bindungen, welche die Ausübung ihrer Planungshoheit beeinträchtigten. Sie müssten deshalb Klarheit haben, ob der Plan nun festgestellt werde oder nicht.

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist im Herbst 2015 beabsichtigt (5 S 2124/13).

6. Senat

Erdgastransportleitung im Nordschwarzwald

Auf Antrag der terranets bw GmbH (Beigeladene), stellte das Regierungspräsidium Karlsruhe (Beklagter) mit einem sofort vollziehbaren Beschluss vom 15. September 2014 den Plan für den Bau und Betrieb einer Erdgastransportleitung zwischen Ettlingen (Landkreis Karlsruhe) und Leonberg (Landkreis Böblingen) als zweiten Abschnitt der rund 70 km langen, von Au am Rhein (Landkreis Rastatt) bis Leonberg verlaufenden "Nordschwarzwaldleitung" fest. Mit der "Nordschwarzwaldleitung" soll Baden-Württemberg an die Trans-Europa-Naturgas-Pipeline (TENP) angebunden und eine Nord-Süd-Achse des europäischen Erdgastransportsystems geschaffen werden.

Die Stadtwerke Pforzheim GmbH& Co KG (Klägerin) hat am 4. Dezember 2014 Klage erhoben mit dem Antrag, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, hilfsweise zu ergänzen. Sie befürchtet, dass sich die durch ein Wasserschutzgebiet in der Nähe von Trinkwasserbrunnen der Klägerin führende Erdgastransportleitung negativ auf das Trinkwasser auswirkt. Die Klägerin hält die insoweit im Planfeststellungsbeschluss zum Schutz ihrer Trinkwasserbrunnen festgesetzten Maßnahmen für nicht ausreichend (6 S 2370/14). Die Klägerin hat ferner beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen (6 S 2371/14).

Gilt nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol auch für Tankstelle mit Gaststättenerlaubnis?

Die Klägerin, eine GmbH, betreibt in Bruchsal eine Tankstelle mit Verkaufsshop. Für einen in den Verkaufsshop integrierten Imbiss erhielt sie 1992 eine Gaststättenerlaubnis ohne Einschränkung der Betriebszeit. Nach dem Gaststättengesetz darf ein Schank- oder Speisewirt außerhalb der Sperrzeit zum alsbaldigen Verzehr oder Verbrauch Getränke und zubereitete Speisen, die er in seinem Betrieb verabreicht, Flaschenbier, alkoholfreie Getränke, Tabak und Süßwaren an jedermann über die Straße abgeben ("Gassenschank").

Die Klägerin verkauft in ihrer Tankstelle auch nach 22.00 Uhr verschiedene alkoholische Getränke (Bier, Wein, Cognac etc.). Die Stadt Bruchsal (Beklagte) sieht darin einen Verstoß gegen das am 1. März 2010 in Kraft getretene nächtliche Alkoholverkaufsverbot im Gesetz über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg vom 14. Februar 2007 (GBl. S. 135). Sie untersagte der Klägerin daher den Verkauf alkoholischer Getränke einschließlich des "Gassenschanks" zwischen 22.00 Uhr und 5.00 Uhr. Das nächtliche Alkoholverkaufsverbot berühre zwar nicht den Verkauf alkoholischer Getränke in Gaststätten und auch nicht den "Gassenschank". Anders liege es aber, wenn eine Gaststätte mit einem Einzelhandelsbetrieb verbunden sei und sich beide nicht eindeutig abgrenzen ließen. Dann gelte das nächtliche Alkoholverkaufsverbot auch für die Gaststätte.

Im März 2014 hat das VG Karlsruhe die Untersagung aufgehoben. Das nächt-liche Alkoholverkaufsverbot gelte zwar grundsätzlich auch für die Verkaufsstelle einer Tankstelle. Die Klägerin könne sich aber auf ihre Gaststättenerlaubnis und das Recht zum "Gassenschank" berufen. Der "Gassenschank" sei unabhängig davon zulässig, ob die Verkaufsstelle im Tankstellenshop vom Imbissbereich räumlich abgegrenzt sei. Der Landesgesetzgeber habe die Möglichkeit des "Gassenschanks" gesehen, sie aber vom nächtlichen Alkoholverkaufsverbot ausgenommen. Ihm habe dabei bewusst sein müssen, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der ca. 1.850 Tankstellen im Land Baden-Württemberg über eine Gaststättenerlaubnis verfüge.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung der Beklagten (6 S 844/14).

In dieser Sache ist Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt auf

 

Donnerstag, 19. März 2015, 10.00 Uhr

im Amtsgericht Bruchsal,

76646 Bruchsal, Schönbornstraße 18, Saal 001 (Erdgeschoss)

8. Senat

Ethylen-Pipeline Süd

Auf Antrag der Ethylen-Pipeline-Süd GmbH & Co KG, einem Zusammenschluss von Chemieunternehmen (Beigeladene), stellte das Regierungspräsidium Stuttgart (Beklagter) den Plan für Errichtung und Betrieb einer Rohrfernleitung zum Transport von flüssigem Ethylen zwischen Riesbürg (Ostalbkreis) und Vaihingen/Enz-Gündelbach (Landkreis Ludwigsburg) als Teilstrecke der ca. 360 km langen Ethylen-Pipeline Süd (von Münchsmünster in Bayern bis Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz) fest. Ethylen ist ein leicht entzündliches Gas. Es dient zur Herstellung von Kunststoffen und wird für den Transport druckverflüssigt.

Eigentümer bebauter oder landwirtschaftlicher Grundstücke im Rems-Murr-Kreis und im Ostalbkreis, über welche die planfestgestellte Teilstrecke verläuft oder die in deren Nähe liegen, erhoben Klagen gegen die Planfeststellungsbeschlüsse und spätere Änderungs-Plangenehmigungen. Es gebe keinen Bedarf für die Pipeline, ihre Sicherheit sei unzureichend geprüft und abgewogen worden, Auflagen seien zu unbestimmt, es fehlten Regelungen zum Rückbau bei Nutzungsende und die Behörde habe Schäden für die landwirtschaftliche Nutzung der betroffenen Grundstücke verkannt. Nach Klageerhebung ordnete das Regierungspräsidium Stuttgart den Sofortvollzug an. Auf Eilanträge von vier Klägern stellte das VG Stuttgart die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen wegen möglicher Sicherheitsbedenken wieder her, lehnte die Eilanträge anderer Kläger jedoch ab. Im Beschwerdeverfahren beim VGH blieben letztlich alle Eilanträge erfolglos (Beschluss vom 14. November 2011, 8 S 1281/11; Pressemitteilung vom 17. November 2011). Die Ethylen-Pipeline Süd wurde im Frühjahr 2012 fertiggestellt und im Juli 2013 in Betrieb genommen.

In den Hauptsacheverfahren hat das VG Stuttgart die Klagen im März 2012 abgewiesen. Auf Anträge von 17 Klägern aus Aalen, Alfdorf, Mutlangen, Rudersberg, Schwäbisch Gmünd und Waldstetten hat der VGH im Oktober 2013 die Berufung in zwei Verfahren zugelassen. Die Rechtssachen wiesen hinsichtlich der gesetzlichen Sicherheitsanforderungen und der behördlichen Abwägung der Sicherheitsbelange der Kläger besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf. Es ist vorgesehen, in beiden Berufungsverfahren im zweiten Halbjahr 2015 mündlich zu verhandeln (8 S 2280/13 und 8 S 2281/13).

9. Senat

Universitätsklinikum Freiburg: Abfindung für Prof. Dr. Friedl

Prof. Dr. Friedl (Kläger) war seit 1997 Universitätsprofessor und Leiter der Abteilung Unfallchirurgie der Universitätsklinik Freiburg (Beklagte). Sein Dienstherr, das Land Baden-Württemberg (Beigeladener), leitete im Jahr 2000 unter dem Vorwurf schuldhaft fehlerhafter medizinischer Behandlung mehrerer Patienten ein Disziplinarverfahren gegen den Kläger ein und suspendierte ihn vorläufig vom Dienst. Das Disziplinarverfahren wurde wegen eines Strafverfahrens ausgesetzt. Im Februar 2003 verurteilte das Landgericht Freiburg den Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzungen in drei Fällen zu 270 Tagessätzen á 90 Euro Gesamtgeldstrafe.

Im Februar 2004 kündigte der Beigeladene die mit dem Kläger im Jahr 1997 geschlossene Vereinbarung über die Berufung als Leiter der Abteilung Unfallchirurgie. Das VG Freiburg wies die dagegen erhobene Klage des Klägers im Juli 2006 ab. Einen Antrag des Klägers, die Berufung gegen dieses Urteil zuzu-lassen, lehnte der VGH mit Beschluss vom 24. April 2009 ab. Bereits am 20. Februar 2009 hatten der Kläger, der Beklagte und der Beigeladene außergerichtlich vereinbart, dass der Kläger seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt und der Beklagte ihm 1,98 Millionen Euro Abfindung für entgangene und zukünftig entgehende Einkünfte aus Privatliquidation zahlt. Ende April 2009 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, diese Vereinbarung sei im Lichte des VGH-Beschlusses vom 24. April 2009 nicht mehr vollziehbar und neu zu bewerten. Der Kläger werde aufgefordert, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, sowie um Äußerung gebeten, ob er seinen Antrag auf Entlassung aus dem Beamtenverhältnis aufrechterhalte. Der Kläger erwiderte, er halte an der Vereinbarung fest. Am 17. Juni 2009 entließ der Beklagte den Kläger auf seinen Antrag aus dem Beamtenverhältnis und stellte kurz darauf das Disziplinarverfahren ein.

Im Juli 2009 fochten der Beklagte und der Beigeladene die Vereinbarung vom 20. Februar 2009 aus mehreren Gründen an. Die Abfindung wurde nicht ausgezahlt.

Im November 2011 hat der Kläger beim VG Freiburg Klage auf Zahlung der Abfindung und Feststellung erhoben, dass der Beklagte ihm zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, der ihm durch die Nichtauszahlung der Abfindung entstanden ist und künftig entsteht. Das VG Freiburg hat die Klage im Dezember 2013 abgewiesen. Die Regelung über die Abfindung in der Vereinbarung vom 20. Februar 2009 sei nichtig. Diese Vereinbarung sei ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag. Ein solcher erfordere eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit, die durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werde. Es sei aber nicht ungewiss gewesen, ob der Beklagte für entgangene und künftig entgehende Einkünfte aus Privatliquidation 1,98 Millionen Euro Abfindung zu zahlen gehabt habe. Denn der Kläger sei infolge seiner disziplinarrechtlichen Suspendierung rechtmäßig an der Ausübung bzw. Wahrnehmung seiner Dienstpflichten gehindert gewesen, und zwar auch in seiner Tätigkeit als Leiter der Abteilung Unfallchirurgie, die ihn zur Privatliquidation berechtigt habe. Der Beklagte wäre daher nicht zur Zahlung einer Abfindung für die während der Suspendierung entgangenen Einnahmen aus Privatliquidation verpflichtet gewesen. Für die Zeit nach der Einstellung des Disziplinarverfahrens gelte das Gleiche, weil der Beigeladene die Vereinbarung über die Berufung des Klägers als Leiter der Abteilung Unfallchirurgie rechtmäßig gekündigt habe, wie das VG im Urteil vom Juli 2006 bestätigt habe. Die Berufung auf die Nichtigkeit der Abfindungs-Vereinbarung verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung des Klägers. Es ist vorgesehen, im zweiten Quartal 2015 über die Berufung mündlich zu verhandeln (9 S 280/14).

Juristenausbildung: Verletzt das "Mannheimer Modell“ die Chancengleichheit?

In mehreren Berufungsverfahren geht es darum, ob die nur an der Universität Mannheim praktizierte Ablegung der Staatsprüfung in der Ersten juristischen Prüfung "in abgeschichteter Form" den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt.

Die Juristenausbildung in Baden-Württemberg besteht nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen in Baden-Württemberg (JAPrO) grundsätzlich aus einem Universitätsstudium und dem Vorbereitungsdienst (Referendariat). Das Universitätsstudium wird mit der Ersten juristischen Prüfung, bestehend aus einer Staatsprüfung und einer Universitätsprüfung, abgeschlossen. Der schriftliche Teil der Staatsprüfung umfasst sechs Klausuren, davon drei aus dem Zivilrecht, eine aus dem Strafrecht und zwei aus dem öffentlichen Recht. Die Stu-dierenden müssen damit am Ende ihres Universitätsstudiums für die Staatsprüfung das gesamte Pflichtfachwissen auf einmal bereithalten.

Mit einer Verordnung zur Änderung der JAPrO vom 25. August 2008 (GBl. S. 298) ermöglichte das Justizministerium zur Erprobung an der Universität Mannheim und befristet bis zum 30. April 2019 auch "gestufte Kombinations-studiengänge", in denen der schriftliche Teil der Staatsprüfung in "abgeschichteter Form" abgelegt werden kann. Die Universität Mannheim führte daraufhin im Herbst 2008 den Studiengang "Unternehmensjurist/in" nach dem europäischen "Bologna-Prozesses" ein. Dieser sieht ein sechssemestriges Jurastudium (Zivilrecht und Grundlagen des Öffentlichen Rechts) mit einer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung bis zum Bachelor-Titel vor. Haben die Studierenden die schriftliche Bachelor-Prüfung und die Zivilrechts-Klausuren der Staatsprüfung bestanden, können sie entweder ein Masterstudium aufnehmen oder den zur vollständigen Staatsprüfung führenden Ergänzungsstudiengang wählen und schließlich die restlichen Klausuren der Staatsprüfung ablegen ("Mannheimer Modell").

Die Kläger haben an den Universitäten Konstanz und Tübingen Jura studiert und im Frühjahr bzw. Herbst 2012 auf Grund der Ergebnisse ihrer Klausuren zum zweiten Mal und damit endgültig die Staatsprüfung in der Ersten juristischen Prüfung nicht bestanden. Gegen die Prüfungsbescheide des Landesjustizprüfungsamts (Beklagter) haben sie Klage erhoben mit dem Hauptantrag, eine Neubewertung einzelner Klausuren zu erreichen, und dem Hilfsantrag, den gesamten schriftlichen Teil der Staatsprüfung nochmals zu wiederholen. Ihre Hauptanträge begründen sie mit Bewertungsfehlern bei einzelnen Klausuren. Die Hilfsanträge stützen sie auf einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Artikel 3 Absatz 1 GG) in Verbindung mit dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit durch das "Mannheimer Modell". Die danach mögliche "Abschichtung“ von Prüfungsleistungen verzerre den landesweiten Maßstab der Staatsprüfung. Studierende solcher Kombinationsstudiengänge könnten sich in ihrer Examensvorbereitung zunächst nur auf einen Teil des Prüfungsstoffes vorbereiten. Dadurch seien sie im nachfolgenden Abschnitt der Staatsprüfung vor allem im Hinblick auf die zu erbringende Gedächtnisleistung entlastet. Eine vergleichbare Vergünstigung komme Kandidaten anderer Hochschulen in Baden-Württemberg nicht zugute. Das Abschichtungs-Modell der JAPrO sei mit dem Grundsatz der Chancengleichheit unvereinbar, weil es für einen Teil der Prüflinge in Baden-Württemberg zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteilen führe.

Die VG'e Stuttgart und Sigmaringen haben die Klagen im September 2013 bzw. Februar 2014 abgewiesen. Gegen diese Urteile richten sich die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssachen zugelassenen Berufungen der Kläger. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der 9. Senat wird voraussichtlich im ersten Quartal 2015 entscheiden (9 S 2309/13 und 9 S 662/14).

11. Senat

Dublin-Verordnung: Entspricht Asylverfahren in Ungarn den EU-Standards?

Gegenstand eines Berufungsverfahrens ist die Frage, ob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Beklagte) einen Kläger auf der Grundlage der Dublin-Verordnung nach Ungarn überstellen darf. Dublin-Verordnung bezeichnet eine Verordnung der EU zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist.

Der 29 Jahre alte Kläger ist nach eigenen Angaben im Iran geboren. Er stellte im September 2013 im Bundesgebiet einen Asylantrag. Er gab an, er sei in Ungarn gewesen, habe dort aber im Freien leben müssen und keine staatliche Hilfe erhalten. Auf das Übernahmeersuchen der Beklagten stimmte Ungarn einer Überstellung des Klägers zu (Dublin-Verfahren). Die ungarische Behörde teilte ferner mit, der Kläger sei auf seinen in Ungarn gestellten Asylantrag zwar nicht als Flüchtling anerkannt worden. Ihm sei aber im September 2011 ein subsidiärer Schutzstatus gewährt worden, weil ihm im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden drohe. Im Dezember 2013 lehnte die Beklagte den Asylantrag wegen Unzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn an.

Das VG Stuttgart hat den Bescheid im Juli 2014 aufgehoben. Zwar sei Ungarn aufgrund seiner Zustimmung zur Behandlung des Asylantrags zuständig. Der Kläger wäre aber bei einer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt. Denn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn wiesen gegenwärtig systemische Mängel auf.

Der für Dublin-Verfahren zuständige 11. Senat hat im Januar 2015 die Berufung zugelassen. Im Berufungsverfahren wird u.a. eine Rolle spielen, ob das Dublin-Verfahren auch dann grundsätzlich anzuwenden ist, wenn einem Asylbewerber bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat durch einen rechtlich gesicherten Aufenthalt Schutz gewährt wird. Dieser subsidiäre Schutz berechtigt den Kläger zum Erhalt eines nationalen Aufenthaltstitels des ungarischen Staates. Ist das Dublin-Verfahren trotz dieser Schutzgewährung zu beachten, könnte zu beurteilen sein, ob der Betreffende, wenn er in Ungarn den weitergehenden Flüchtlingsstatus durchsetzen will, dort infolge systemischer Mängel des ungarischen Aufnahme- und Asylverfahrens einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt wäre (A 11 S 57/15).

Geschäftstätigkeit VGH (PDF, 205 KB)

Geschäftstätigkeit VG (PDF 309 KB)

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